BIOWIRTSCHAFT: ERREICHTES BEWAHREN UND MEHRWERT SCHAFFEN
PromFR | 02.09.2021

JERRY KRATTIGER

Die neue Wirtschaftsstrategie des Kantons Freiburg ist das Ergebnis einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen privaten und akademischen Partnern und misst der Biowirtschaft einen hohen Stellenwert bei. Gespräch mit Jerry Krattiger, Direktor der Wirtschaftsförderung Freiburg.

Der Begriff Biowirtschaft bedarf der Klärung. Wie würden Sie ihn definieren?

Der Begriff Biowirtschaft wird in zahlreichen neueren Studien und Konzepten mehr oder weniger ausführlich beschrieben. Nach unserer relativ breit gefassten Definition bezieht er sich auf sämtliche Aktivitäten, die mit der Produktion, der Umwandlung und der Verwertung von Biomasse für die Herstellung von Lebensmitteln, Molekülen und innovativen Materialien zu tun haben. Er deckt damit so unterschiedliche Bereiche wie die Nahrungsmittelindustrie, das Bauwesen und die Biotechnologie ab. Die Biowirtschaft ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Kreislaufwirtschaft, obwohl sie ein Teil davon ist. Sie steht auch in keinem Zusammenhang mit dem in der Schweiz und in Europa weitverbreiteten Bio-Label, das biologische Landwirtschaftsprodukte kennzeichnet.

Weshalb ist Biowirtschaft ein Schwerpunkt der neuen Wirtschaftsförderungsstrategie des Kantons Freiburg?

Anstelle einer kompletten Zäsur, bei der wir beispielsweise alles auf Kryptowährungen gesetzt hätten, haben wir es vorgezogen, aus den Stärken des bestehenden Wirtschaftsgefüges Kapital zu schlagen und die Kohärenz mit den bereits getätigten Investitionen zu gewährleisten. Mit einer Spezialisierung auf die Biowirtschaft können wir uns nicht nur auf die Pfeiler der Freiburger Wirtschaft stützen – das Bauwesen im Bereich Biomaterialien und Energieeffizienz sowie der Lebensmittelbereich –, sondern auch zukunftsträchtige Sektoren wie die Biotechnologien oder die biobasierten Produkte einbeziehen und stärken. Wir wollen das Erreichte bewahren, aber gleichzeitig die Bereiche mit hoher Wertschöpfung vorantreiben. Der sektorübergreifende und interdisziplinäre Charakter der Biowirtschaft bietet hervorragende Entwicklungs- und Innovationsmöglichkeiten, insbesondere im Zusammenhang mit der Industrie 4.0. Diese beiden strategischen Ausrichtungen ergänzen und verstärken sich gegenseitig. Automatisierung und Robotisierung sind auch in der Lebensmittelindustrie in Unternehmen wie Nespresso, JNJ Automation oder Frewitt sehr präsent. Im Kanton Freiburg ist diesbezüglich grosses Know-how vorhanden.

Die Grenze zwischen Lebensmittelindustrie und Biotechnologie wird ebenfalls immer fliessender…

Die Verfahren zur Verwertung der Biomasse sind sehr attraktiv und bewegen sich auf Fragestellungen im Zusammenhang mit der Biochemie oder den Biotechnologien zu. Die Extraktion von Vanillin bei Bloom Biorenewablesoder die Präzisionsfermentation bei Alver mit Golden Chlorella sind nur einige Beispiele dafür. Das Ergebnis sind besonders leistungsfähige Produkte, die zur Lösung von Problemen im Zusammenhang mit der CO₂-Bilanz, der Lebensmittelsicherheit oder der Abhängigkeit von Erdöl beitragen. Damit eröffnet sich auch eine äusserst interessante und sehr aktuelle soziale und ökologische Dimension. Dasselbe gilt auch für den Bereich der Werkstoffe, wo die biobasierten Verbundwerkstofflösungen von Unternehmen wie Bcomp auf grosses Interesse stossen.

Verfügt das Freiburger Ökosystem über die notwendigen Instrumente für die Entwicklung der Biowirtschaft?

Zweifellos. Aufgrund der historisch bedingten Dominanz des Nahrungsmittels- und des Bausektors kann die Biowirtschaft als Fortsetzung der bisherigen Fördermassnahmen verstanden werden. Im Laufe der Jahre haben strategische Gegebenheiten und gezielte Investitionen die Gründung und Entwicklung von Forschungsinstituten, Kompetenzzentren und spezialisierten Innovationsstandorten ermöglicht. Beispiele sind das Smart Living Lab, ein Forschungszentrum für den Wohn- und Lebensraum der Zukunft, das Biofactory Competence Center, ein Ausbildungs- und Forschungszentrum im Bereich Biopharmazie und Biotechnologie, das Adolphe Merkle Institut, das im Bereich der Nanomaterialien tätig ist oder der Campus AgriCo, der sich der Wertschöpfung in den Bereichen Landwirtschaft, Ernährung und Biomasse widmet. Darüber hinaus fördern die thematischen Cluster Food & Nutrition und Building Innovation Synergien und legen den Schwerpunkt auf die Unterstützung der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovation, mit einem besonderen Akzent auf der Biowirtschaft. Die Aufgabe des Kantons Freiburg ist es nun, Tradition – wie die Produktion von Gruyère d’Alpage AOP – und Ambition – wie die Herstellung hochentwickelter Biotech-Moleküle bei UCB Farchim – miteinander zu verbinden. Das ist eine fantastische Herausforderung und wir sind bereit, sie anzunehmen.