Ist Freiburg schon bald mehr für sein Know-how in Biotechnologie oder nachhaltiger Chemie bekannt als für seine Schokolade oder sein Fondue Moitié-Moitié? Angesichts der jüngsten und vielversprechenden Entwicklungen im Bereich der Life Sciences im Kanton ist dies durchaus möglich. Entgegen der landläufigen Meinung sind der Nahrungsmittelsektor und die Life Sciences eng miteinander verbunden. Jerry Krattiger, Direktor der Wirtschaftsförderung Kanton Freiburg, erklärt uns die Gründe dafür.
Die Life Sciences sind das Schwerpunktthema der neuen Ausgabe von Fribourg Network Freiburg. Können Sie uns diese definieren?
Die Life Sciences umfassen ein breites Spektrum an Branchen, die sich mit dem Studium von Lebewesen und Lebensvorgängen befassen. Während die Biotechnologie biologische Systeme und Lebewesen nutzt, um eine breite Vielfalt von Produkten und Technologien zu entwickeln, ist die Pharmabranche auf die Entwicklung und die Vermarktung von Arzneimitteln für die menschliche Gesundheit spezialisiert. Der Bereich der Medizintechnik wiederum umfasst Geräte wie Scanner, Prothesen und Hörhilfen, die von spezialisierten Forschenden und Ingenieuren entwickelt und hergestellt werden. Im Bereich der Diagnostik werden Tests zur Erkennung verschiedener Krankheiten entwickelt. Nicht vergessen werden dürfen schliesslich die Beratungsdienste und digitalen Gesundheitsinnovationen.
Die Entwicklung dieses Wirtschaftssektors im Kanton Freiburg ist bemerkenswert…
Ab den 1960er-Jahren war Ciba ein wichtiger Akteur in der Region. Nach der Fusion mit Sandoz zu Novartis im Jahr 1996 verlagerte die Gruppe ihre Geschäftstätigkeiten jedoch rasch. In der Zwischenzeit hatten sich im Kanton Freiburg jedoch Pharmaunternehmen wie Vifor und UCB Farchim niedergelassen sowie Unternehmen wie Bio-Rad, Alcon, Sonova und Medion Grifols, die auf Diagnostik oder Medizintechnik spezialisiert sind. Heute ist der Kanton ein äusserst attraktiver Standort, der sich im Bereich der Life Sciences in der Schweiz als dynamischer Akteur positionieren konnte.
Und vor allem innerhalb des Health Valley der Westschweiz?
Absolut. Die Stärken des Kantons Freiburg basieren auf Fähigkeiten, die über die Kantonsgrenzen hinausreichen. Das Westschweizer Health Valley zeichnet sich von Solothurn bis Genf durch eine hohe Konzentration von Gründerzentren, Technologieparks und Spitzenunternehmen aus und insbesondere durch eine starke Produktionskapazität im Bereich der Biotechnologien. Freiburg ist perfekt in dieses florierende Ökosystem eingebettet und trägt aktiv zu seiner Entwicklung und internationalen Ausstrahlung bei.
Welche Stärken kann Freiburg im Bereich der Innovation vorweisen?
Wir verfügen über einmalige Infrastrukturen wie das Biofactory Competence Center für Ausbildung und Bioproduktion, das Institut ChemTech für nachhaltige Chemie oder das Institut iPrint für Biomedizinaldruck. Das Institut Adolphe Merkle (AMI) glänzt mit seiner Expertise im Bereich der Nanotechnologie, z.B. bei der Einkapselung von Impfstoffen in sehr kleinem Massstab. Diese Kompetenzzentren arbeiten eng mit den Akteuren aus Wirtschaft und Industrie zusammen, wodurch die Forschung angekurbelt und der Transfer von Technologien auf den Markt erleichtert wird.
Wie steht es um die Ansiedlung von ausländischen Unternehmen?
Es ist stets eine Herausforderung, ausländische Unternehmen anzuziehen. In jüngster Zeit waren wir jedoch erfolgreich, so hat beispielsweise die brasilianische CT Group Freiburg als Standort für ihre Einkaufszentrale gewählt. Sie kauft in der Schweiz und in Europa Medizinprodukte ein und verschickt diese anschliessend nach Brasilien. Andere Unternehmen wie OM Pharma und Verfora haben sich für Freiburg als Sitz für ihre Geschäftstätigkeit auf dem Schweizer Markt entschieden. Diese Erfolge bestätigen die Attraktivität unserer Lage im Herzen der Schweiz und Europas, die dank der Verfügbarkeit von Grundstücken und der Qualität der Infrastruktur noch verstärkt wird.
Kam dem traditionsgemäss wichtigen Lebensmittelsektor bei dieser Entwicklung eine Schlüsselrolle zu?
Ja, es gibt eine direkte Verbindung zwischen unserer Tradition im Lebensmittelsektor und der fortschreitenden Entwicklung der Life Sciences im Kanton. Historisch betrachtet hat die Bedeutung des Lebensmittelsektors dazu beigetragen, dass eine solide Basis an Wissen und Kompetenzen in Chemie und Biologie aufgebaut werden konnte. Dank diesem Fachwissen konnten komplexere Anwendungen entwickelt werden, insbesondere im Bereich der Biotechnologien. Heute stärken sich diese Bereiche gegenseitig und führen unsere Fähigkeit vor Augen, uns anzupassen, globale Trends frühzeitig zu erkennen und Kapital aus unseren historisch gewachsenen Stärken zu schlagen.
Was versprechen Sie sich von der Zukunft?
Ich bin überzeugt, dass der Sektor der Life Sciences ein äusserst vielversprechendes Potenzial birgt. Er hat bereits einen Anteil von über 15 % an unseren Exporten und erzeugt laut der Studie, die wir in Auftrag gegeben haben (siehe Seiten 6-7), eine Wertschöpfung, die weit über dem kantonalen Durchschnitt liegt. Mit der Unterstützung von hochqualifizierten Arbeitskräften ist diese Dynamik eine grossartige Chance für die wirtschaftliche Zukunft unseres Kantons.